You are currently viewing JAN WEILER

JAN WEILER

Gustav Mahler darf nicht in die Walhalla

von Jan Weiler am 26.10.2005

Nach Regensburg kommt man ja auch nie, das liegt nicht auf dem Weg nach irgendwo. Früher muss das mal anders gewesen sein, Regensburg war mal wichtig, sehr wichtig sogar. Es ist die viertgrößte Stadt in Bayern und verfügt selbst redend über einen kapitalen Dom. Am Südwest-Eingang des Doms Sankt Peter hängt ein Schild, das auf eine gewisse “Judensau” an der rechten Säule neben dem Eingang hinweist. Wie bitte? Ich glaube, es geht los. Bei der “Judensau” handele es sich um die Abbildung einer Sau mit an den Zitzen herumspielenden Juden. Das sei als Schmähung gemeint gewesen, denn in südwestlicher Richtung vom Dom aus befand sich das Judenghetto. Ausweislich des Schildes müsse man die “Judensau” in einem geschichtlichen Kontext begreifen und heute sei das Verhältnis zwischen Christen und Juden von Verständnis und Toleranz geprägt. Das ist jetzt kein Satz für Kunsthistoriker, aber: Ich würde diesen antisemitischen Scheiß ja abschrauben und wegschmeißen. Das Judenghetto ist schließlich auch weg, dass wurde schon vor 500 Jahren nieder gebrannt. Wo damals die Synagoge stand, wurde hernach die erste evangelische Kirche von Regensburg hingebaut. Wie dem auch sei. Schon aus Gründen politisch korrekter Erregung muss ich das Regensburger Anti-Juden-Schwein natürlich sehen und betrete neugierig den Dom. Aber ich finde die “Judensau” nicht. Komisch. Die ganze Aufregung für die Katz. Aber so ist das nun einmal: Da gibt es in dieser traumhaft schönen Kirche atemberaubende Fenster, den berühmten “Lachenden Engel” und ein 32 Meter hohes Gewölbedach. Und was bleibt am Ende in Erinnerung? 500 Jahre alter Quatsch, den man nicht einmal sehen kann.

Es ist gar nicht so einfach, sich in Regensburg zurecht zu finden, denn diese beim Bombardement irgendwie glücklicherweise vergessene und daher wunderschöne Stadt besteht zu einem Gutteil aus autofreier Altstadt, Kirchen und Geschenklädchen mit Ratzinger-Tellerchen. Der Mann ist Papst, aber nicht unbedingt ein Fest fürs Auge. Daher wurde überall dasselbe enorm vorteilhafte Foto draufgeklebt-gedruckt,-gestickt. Jedenfalls verläuft man sich leicht in den Gässchen, die voll sind von Holzspielzeuglädchen und sehr angenehmen Cafés.

Schon das Navigationsgerät im Auto hatte vor der “Unteren Bachgasse” kapituliert. Dort hat man mir ein Zimmer gebucht. Im Hotel Orphée. Man muss wirklich ganz verboten zwischen den Fußgängern hintuckern, anders bekommt man sein Gepäck nicht hin. Das Hotel ist dafür aber ein Traum. Wenn alle Hotels so wären wie das Orphée, ich sage Ihnen, dann würden alle Menschen Handelsvertreter werden wollen. Oder Schriftsteller. Es ist nicht nur geschmackvoll eingerichtet und freundlich geführt, sondern es hat Atmosphäre, was man heute von fast nirgendwo mehr sagen kann. Man kommt wirklich gerne in dieses Haus und genießt jede Sekunde. Sogar das Zimmermädchen ist super hübsch. Man wünschte, man wäre ein Bett und würde von ihr frisch bezogen. Aber nun nicht ins säfteln kommen. Ich bin ja noch nicht vierzig.

Auch die Lesung wird heute richtig gut. Sie findet in der Nähe statt, in einem Saal, der “Leerer Beutel” heißt, was zumindest erst einmal alle Alarmglocken schrillen lässt. Leerer Beutel klingt nach schlimmer Studentenkneipe, auf deren Speisekarte “Knobibrot” und “Salat mit Putenbruststreifen” und “Rotwein haut rein” steht. Es stellt sich zu meiner Erleichterung heraus, dass es sich beim leeren Beutel um einen historischen Saal und ein daneben gelegenes anständiges Restaurant handelt, wo ich vor der Lesung eine Kokos-Linsensuppe esse, an der nur der Preis studentisch ist. Uff. Glück gehabt.

Der Veranstalter des Abends ist die Buchhandlung Dombrowski, die an dieser Stelle gepriesen werden muss. Aus mehreren Gründen: Erstens sind die Mikrofonanlage und der Raum und das Publikum top. Erste Sahne. Zweitens ist das Ehepaar Dombrowski auf schon atemberaubende Weise höflich, charmant und kompetent. Und drittens ist ihr Geschäft soeben “Buchhandlung des Jahres” geworden. Das ist eine Auszeichnung der Fachzeitschrift Buchmarkt. Ich finde das wunderschön, denn die Dombrowskis haben eine ganz kleine Buchhandlung, so eine Art Feinkostlädchen der Literatur. Dass sie mich eingeladen haben, macht mich natürlich schon stolz. Nach der Lesung bin ich ganz glücklich, weil hier in Regensburg alles so super ist.

Im Hotel zappe ich noch durch die Programme und stoße auf Johano Strasser, wie er mit irgendwelchen Wirtschaftstypen in einer Phoenix-Sendung namens “Berliner Runde” diskutiert. Als ich sehe, wie er zu den Einlassungen des Klassenfeindes freundlich nickt, nicke ich ebenfalls, und zwar ein. Das liegt an der unerfreulichen Müdigkeit, die ich jetzt schon seit fast einer Woche mit mir rumschleppe. Vielleicht habe ich mich bei Klaus Kinkel mit Malaria angesteckt. Der soll das ja angeblich haben. Wenn ich das von ihm hätte, würde es mich aber schon sehr wundern, denn ich bin ihm noch nie begegnet. So was denkt man, kurz bevor man einschläft.

Heute Morgen habe ich sehr ausführlich in dem zum Hotel gehörenden Restaurant gefrühstückt und dabei zwei Zeitungen gelesen: Die SZ natürlich, das ist ja keine Frage. Und dann noch die taz. Und da wurde mir schlagartig klar, was das hier für ein Laden ist. Das ist das Hotel für die neue Mitte! Für diese Bütikofers, die in Wahrheit die neue bürgerliche Mittelschicht bilden und die FDP an den rechten Rand der Neoliberalität gedrängt haben. Hier steigen Menschen ab, die gerne teuren Rotwein trinken, in einem ordentlichen Hotel mit antiken Möbeln absteigen und aber morgens zum Milchkaffee die taz lesen wollen.

Und auch der Milchkaffee ist erstklassig. Was soll ich machen, mir ist das ganz recht so. In Regensburg kann man noch ein bisschen bleiben, entscheide ich nach der Lektüre der ehrenwerten taz und gehe spazieren. Ich besteige einen Bus mit Anhänger. Im vorderen Teil gibt es die Stadtrundfahrt auf Deutsch, im Anhänger gibt es die Stadtrundfahrt in Englisch. Habe ich noch nie gemacht. Bevor das Ding loszuckelt, reißt ein Stadtrundfahrtsangestellter die Tür auf und blökt uns arme schüchterne Rentner an: “Lüftung gibt’s nur, wenn Sie die Fenster aufmachen. Wenn Sie die zu rammeln, ist hier Pumakäfig.” Eigentlich haben alte Damen doch ihre Handtaschen, um damit kräftig zu zuschlagen. Macht aber niemand. Schade. Die Stadtrundfahrt bereichert mich um mehrere Anekdoten aus der Stadtgeschichte Regensburgs. Die schönste ist diese hier. Als die berühmte steinerne Brücke gebaut wurde, wettete der Baumeister mit dem des Doms, wer eher mit seinem Bauwerk fertig würde. Der Brückenbaumeister geriet aber in Verzug und ließ sich auf einen Pakt mit dem Teufel ein. Dieser half ihm bei der Fertigstellung und sollte dafür die ersten drei Seelen erhalten, die die Brücke überquerten. Als die Brücke fertig war, kündigten sich Kaiser, König, Kardinal, Bürgermeister und so weiter an und der Brückenbauer bekam Panik. Schließlich jagte er einen Hund, einen Hahn und eine Henne über die Brücke. Der Teufel wurde sauer und fühlte sich zu recht veräppelt. Er versuchte also die Brücke zu zerstören indem er sich unter den mittleren Brückenbogen stellte und von unten drückte. Die Brücke ging aber nicht kaputt, sondern erhielt auf diese Weise bloß ihre charakteristische nach oben gewölbte Form. Hübsch, gell?

Natürlich ist auch viel von Papst Benedikt die Rede. Die Dame auf dem Tonband braucht mehrere Minuten, um seine Verdienste, Titel und Funktionen in und um Regensburg aufzuzählen. Am Ende sagt der Rentner neben mir halblaut zu seiner Frau: “Und denn war er noch ersta Tenor bei’n Rensburjer Domspatzn.”

Auf dem Weg nach Straubing mache ich einen schönen Abstecher nach Walhalla, der deutschen Hall of Fame. Leo Klenze hat das Ding gebaut, Münchner kennen den. Ein Visionär, der die Walhalla mitten in den Wald auf den 405 Meter hohen Bräuberg gesetzt hat. Man kann nicht nur sehr weit von dort aus ins Land sehen, sondern auch umgekehrt vom Land aus auf die Walhalla. Enormes Gebäude, an dem nicht zu viel Betrieb ist. Übrigens geht man heute nicht mehr die über dreihundert Stufen zur Halle hinauf, sondern parkt dahinter. Da ist mehr Platz für die vielen Busse mit Tortenkillern, die hier den deutschen Helden huldigen.

Viele von denen kenne ich gar nicht, zum Beispiel Fürst Barclay de Tolly oder Michiel Adriaenszoon de Ruyter. Der erste war Russe und der zweite Holländer. Ludwig I. hatte verfügt, dass in die Walhalla aufgenommen werden könne, wer “teutscher Zunge” und also nicht notwendigerweise rein deutschen Blutes sei. Es sind daher auch Holländer und Angelsachsen und Franzosen dabei. Der war schon ein echter Europäer, der Ludwig. Und hellsichtig war er auch, denn erstens würde Mozart bei moderner Auslegung der Aufnahmekriterien fehlen und zweitens wäre dann sogar für Ludwig I. selbst kein Platz. Der wurde nämlich in Straßburg geboren und starb in Nizza. Wussten Sie nicht? Sehen Sie. Das ganze Thema ist hochkompliziert, zumal inzwischen wirklich nur noch reinkommt, wer auch in Deutschland geboren ist. Die letzten, die als Büste in die Walhalla gestellt wurden, waren Konrad Adenauer und Sophie Scholl, wogegen in beiden Fällen nichts zu sagen ist. Die Scholl-Büste ist etwas groß geraten, das arme Mädchen hat einen Wasserkopf bekommen. Auch einige weitere Ehrenköpfe überzeugen mich nicht so. Einstein zum Beispiel. Der sieht mir zu comicköpfig aus. Und Franz Schubert. Da stimmen die Proportionen nicht, oder er sah wirklich merkwürdig aus. Insgesamt kann man mit der Auswahl der Geehrten zufrieden sein. Ich finde schon gut, dass der Ernst der Sache nicht durch die Einbeziehung von Fußball- oder Showstars untergraben wird. Die meisten der dann in Frage kommenden Personen erfüllen aber ohnehin noch nicht die Bedingungen. Man muss zum Beispiel seit zwanzig Jahren tot sein, was beispielsweise für Max Schmeling und Wim Thoelke nicht zutrifft.

Mit der Orthografie hapert es übrigens da und dort. Immanuel Kant fehlt beispielsweise ein dringend benötigtes “m.” Und der Humanist Johannes von Reuchlin heißt auf seiner Büste Reichlin. Das ist doch ein starkes Stück. Da kommt man schon in die Walhalla und dann ist der Bildhauer Legastheniker. Und dann fällt mir schließlich auf, dass da wer fehlt. Brecht zum Beispiel. Der gehörte hier schon rein. Und bei den Tonsetzern vermisse ich auch jemanden. Anton Bruckner ist drin. Bach, Beethoven, Brahms, Gluck, Händel, Haydn (der auf der Büste doch tatsächlich Heyden heißt), Reger, Schubert, Richard Strauss, von Weber und Wagner sowieso. Aber Gustav Mahler nicht. Gut, der ist in Böhmen geboren, aber was für andere gilt, das könnte doch für Mahler auch gelten. Gustav Mahler hatte schon zu Lebzeiten seine Not mit der Anerkennung. Er konvertierte vom Judentum zum Katholizismus, aber nicht einmal das half ihm weiter. Später wurde er aus Wien mittels antisemitischer Berichterstattung der lokalen Medien (vulgo: Zeitungen) weggemobbt. Und nun darf er nicht einmal in die Walhalla, die so in etwas unangenehmer Weise an den Regensburger Dom erinnert. Auf dem Weg zum Auto muss ich an einen Satz von Woody Allen denken. Ich glaube, er stammt aus dem Film “Manhattan Murder Mystery” und lautet: “Immer, wenn ich Wagner höre, bekomme ich den unwiderstehlichen Wunsch, in Polen einzumarschieren.”

Jan Weiler “In meinem kleinen Land“ Rowohlt Verlag

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Hi, this is a comment.
    To get started with moderating, editing, and deleting comments, please visit the Comments screen in the dashboard.
    Commenter avatars come from Gravatar.

Schreibe einen Kommentar